Sentimentanalyse: Auf die Stimmung an der Börse setzen
Für die meisten, wenn nicht für alle Anleger ist es die Frage aller Fragen: Wann ist der optimale Zeitpunkt für den Einstieg an den Aktienmärkten gekommen? Allein, diese Frage lässt sich in den seltensten Fällen eindeutig beantworten, auch wenn zahlreiche Institutionen mit verschiedenen Methoden kontinuierlich daran arbeiten, Hinweise zu finden, die eine Antwort auf die Frage geben könnten. Und eine Erkenntnis kann dabei sogleich vorausgeschickt werden: Egal welche Methode benutzt wird – eine sichere Antwort auf die Frage, wie sich der Kurs eines Wertes tatsächlich entwickeln wird, wird sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht finden lassen. Denn was bekannt ist, das spiegelt der Kurs bereits wider. Eher ist das Gegenteil der Fall: Gegensätzliche Auffassung in Bezug auf die Perspektiven eines Unternehmens oder auch einer bestimmten Branche prägen das Bild der Analysen. Und so vielfältig wie die jeweiligen Urteile der Analysten, so umfangreich sind auch die Methoden, mit denen die Marktbeobachter zu ihren Einschätzungen gelangen. Das kann von der klassischen Fundamentaldatenanalyse über eine Bewertung der charttechnischen Entwicklung bis hin zu eher obskuren Methoden reichen, bei denen von der Länge der Röcke der Frauen im Frühjahr in New York auf das bevorstehende Börsenjahr geschlossen wird. Und tatsächlich gibt es auch immer wieder vermeintliche Beweise für die Voraussagekraft der einen oder der anderen unkonventionellen Methode. In jedem Fall lassen sich für jede Methode Befürworter und Gegner finden. Aber dass es immer wieder reichlich schrägen Verfahren gelingt, die Aufmerksamkeit vieler Anleger auf sich zu ziehen, zeigt vor allem, dass es unter Anlegern einen enormen Bedarf an Orientierung gibt. Und genau hier liegt auch ein neuralgischer Punkt, an dem die Sentimentanalyse ansetzt. Denn je mehr Anleger einer bestimmten Analystenmeinung in Bezug auf die Vorhersage der Kursentwicklung anhängen, desto wahrscheinlicher kann es wiederum passieren, dass daraus tatsächlich ein Trend wird, obwohl die eigentlichen fundamentalen Daten überhaupt nicht darauf deuten. Wissenschaftlicher sprechen dabei von der sogenannten „Self fulfilling Prophecy“, also einer Prophezeiung, die sich selbst erfüllt, nur weil genug Leute daran glauben und entsprechend handeln. Bereits hier ist man quasi mitten im Feld der sogenannten Sentimentanalyse, die sich eben nicht an finanztechnischen Kennzahlen orientiert, sondern vor allem Stimmungen an der Börse als Grundlage für Voraussagen betrachtet. Die Hintergründe und Bedeutung der Sentimentanalyse sollen in diesem Beitrag erläutert werden. Dabei soll aber zunächst ganz allgemein auf Methoden eingegangen werden, die bei der Bewertung der aktuellen Börsenlage üblich sind und wie dabei generell vorgegangen wird. Im Anschluss wird die Sentimentanalyse als eine eigene Form der Marktbewertung gewürdigt um zum Abschluss darauf einzugehen, welche Aspekte der Sentimentanalyse der private Anleger tatsächlich für sich nutzen kann.
Methoden der Marktbewertung und deren Grenzen
Inhaltsverzeichnis
In Bezug auf die Zukunft ist nur sicher, dass nichts sicher ist. Diesen Leitspruch sollten im Grunde alle Anleger verinnerlichen, denn er sagt ziemlich viel über die Aussagekraft von Prognosen im Allgemeinen und Erwartungen an der Börse im Besonderen. Denn egal wie renommiert und angesehen ein Analyst oder ein entsprechendes Forschungsinstitut ist, in die Zukunft schauen kann bis heute keiner. Und egal, ob eine Prognose nun auf zweifelsfrei ermittelten Kennziffern beruht oder eine aufwändige und technisch einwandfreie Analyse des Kursverlaufes stattgefunden hat, eine darauf fußende Prognose stellt immer eine Abwägung von Chancen und Risiken dar. Diese Abwägung kann sowohl in Bezug auf ein Unternehmen oder eine einzelne Branche durchgeführt werden, aber ebenso gut eine ganze Volkswirtschaft oder auch die globale Wirtschaftsentwicklungen betreffen. Für den aktuellen Zustand ist dabei aber immer davon auszugehen, dass alle Informationen, die bereits veröffentlicht und damit bekannt sind, bereits im Kurs enthalten, also eingepreist sind. Um aus dieser Situation aber auf die weitere Entwicklung schließen zu können, bedarf es im Grunde aber zusätzlicher Informationen, oder vielleicht besser gesagt Hinweise, aus denen sich entsprechende Schlüsse ziehen lassen. Im Gegensatz zu bereits bekannten Informationen sind diese Hinweise allerdings alles andere als sicher.
Grob gesagt werden für die Erkenntnisgewinnung für die zukünftige Entwicklung verschiedene Methoden eingesetzt. Der Klassiker darunter ist die sogenannte Fundamentaldatenanalyse. Dabei wird an Hand von im prinzipiell frei verfügbaren Unternehmensdaten, wie Gewinn, Dividendenausschüttung oder Cash Flow eine Unternehmensbewertungen durchgeführt, in dem diese Daten ins Verhältnis mit dem aktuellen Kurs, dem Umsatz oder auch dem Schuldenstand gesetzt werden. Anhand der Kennzahlen, die man auf diese Weise erhält, lassen sich Unternehmen dann prinzipiell sehr einfach und transparent miteinander vergleichen. Unternehmen mit einem besonders niedrigen Kurs Gewinn Verhältnis könnten sich vor diesem Hintergrund möglicherweise als attraktive Kaufgelegenheit anbieten, andere Unternehmen erweise sich dagegen als vermeintliche Verkaufskandidaten. Entsprechende Kennzahlen können darüber hinaus auch für einzelne Indizes und ganze Börsensegmente berechnet werden, so dass Berater darin auch durchaus generelle Kaufempfehlungen ableiten, die sich auf Branche oder eben ganze Märkte beziehen können. Doch auch wenn weiterhin konjunkturelle Daten in die entsprechenden Bewertungen einfließen, so investiert der Anleger letztendlich nur in den Status Q. Denn ob die Ertragssituation eines Unternehmen oder einer Branche auch in den nächsten Jahren stabil bleibt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Befürworter der Fundamentaldatenmethode setzen auf langfristige Trends und bauen darauf, dass gut bleibt, was gut war und liegen damit zumindest nicht immer falsch aber auch nicht immer richtig. Denn es gibt eben auch immer wieder eindrucksvolle Fälle, in denen genau diese Erwartung nicht eintrifft.
Die zweite wichtige Methode, auf die hier kurz eingegangen werden soll, ist die technische Analyse von Kurscharts. Bei dieser Bewertungsmöglichkeit, die mindestens ebenso viele Anhänger wie Gegner hat, wird versucht, aufgrund von typischen, grafisch erkennbaren Formationen der Kurscharts auch auf die weitere Entwicklung zu schließen. Die Analysten achten dabei vor allem auf intakte Trends sowie Signale für eine Kurswende. Besonders bei langfristigen Richtungstrends können sich durchaus wichtige Entscheidung für den Anleger ergeben, etwa noch nicht aus einen Wert auszusteigen, der sich in einem intakten Aufwärtstrend befindet, oder eben mit dem Investment zu warten, solange der Abwärtstrend noch läuft. Im Gegensatz zur fundamentalen Analyse eignet sich die technische Analyse auch für sehr kurzfristige Anlageentscheidungen, bzw. als Grundlage für das sogenannte Daytrading, also eine Anlageform, bei der der Anleger meist nur auf extrem kurze Trends setzt und einzelne Werte oft mehrmals am Tag kauft und wieder verkauft. Gerade sehr stark gehandelte Werte, etwa aus dem Dax oder dem DowJones, bilden auch im Tagesverlauf sehr komplexe Chartformationen aus, aus denen der Händler seine Schlüsse zieht und Handelsentscheidungen trifft. Als dritte Analyseform soll nun ausführlich die sogenannte Sentimentanalyse in den Vordergrund gestellt werden.
Herkunft und Methode der Sentimentanalyse
Auch wenn sich kein genauer Zeitpunkt bestimmen lässt, an dem die Sentimentanalyse erstmalig angewendet wurde, kann man wohl recht sicher davon ausgehen, dass es das zu Grunde liegende Prinzip mindestens so lange gibt, wie den spekulativ ausgerichteten Handel an der Börse selber. Denn dieses Prinzip besagt letztendlich nichts anderes, dass vor allem aufgrund von vorherrschenden Stimmungen am Markt Investitionsentscheidungen getroffen werden. Als Quelle für Informationen bezüglich der aktuellen Stimmung kommen dabei zwei wesentliche Faktoren in Frage: Zum einen sind das die Unternehmen, bzw. deren Verantwortliche selber. Zum anderen sind das aber vor allem auch die anderen Marktteilnehmer. Der Anleger versucht also zu ermitteln, wie die Verantwortlichen in den Unternehmen und andere Marktteilnehmer die aktuelle Situation einschätzen. Neben persönlichen Verbindungen zu Unternehmenslenkern und regelmäßigem Austausch mit anderen Händlern, gibt es darüber hinaus auch jede Menge Daten und Einschätzungen, die regelmäßig durch unterschiedliche Institutionen veröffentlicht werden. In Bezug auf die Stimmung in den Unternehmen können dabei etwa Geschäftsklimaindizes als Informationsquellen genannt werden, als Gegenstück gelten Stimmungsumfragen unter den Händlern selber. Neben diesen eher weichen Daten gibt es aber auch eine Reihe von „hard facts“, die in Prognosen der Sentimentanalysten einfließen. Als wichtiger Indikator gilt dabei etwa die Relation der Optionsarten Put und Call. Wobei ein Übergewicht von Kaufoptionen auf eine positive Stimmung hinweist, ein Übergewicht von Verkaufsoptionen entsprechend auf das Gegenteil. Weitere Informationslieferanten sind Verfasser von Börsenbriefen, denen eine gute Marktkenntnis nachgesagt wird und auch entsprechende Berichte über die Börse in den Massenmedien werden gern als Hinweise auf bestimmte Marktsituationen gedeutet. Dabei wird angenommen, dass Massenmedien generell dazu neigen, Entwicklungen eher übertrieben darzustellen und damit Trends zu verstärken. Hinzu kommen Entscheidungen von wichtigen Anlegern, wie großen Investmentfonds oder auch (veröffentlichungspflichtige) Insidergeschäfte. Käufe von Insidern wären demnach ein gutes Zeichen, Verkäufe könnten dagegen auf eine Trendwende zu fallenden Kursen hindeuten. Nicht zuletzt wird auch die Zahl der aktuell geplanten Börsengänge als ein wichtiger Hinweis angesehen, da sich in der Regel neue Unternehmen nur in einem positiven Umfeld an die Börse wagen.
Neben den genannten Quellen und Instrumenten gibt es noch eine Reihe weitere Möglichkeiten, die Stimmung zu ermitteln, allerdings sind alle dieser genannten und nicht genannten Informationen mit einem grundsätzlichen Problem verbunden: Keine der Quellen liefert wirklich sichere oder eindeutige Hinweise auf den tatsächlichen Marktzustand. Im Gegenteil: Von einem einheitlichen Bild kann bei weitem keine Rede sein, denn nicht selten liefern einzelne Faktoren eher widersprüchliche Hinweise. Grundsätzlich steht der Anleger also zunächst vor einer noch komplexeren Lage und es wird noch schwieriger, diese eindeutig zu beurteilen. Dies trifft umso mehr zu, als dass die Schlussfolgerungen, die aus einzelnen Informationen gezogen werden, mitunter kontraindikatorisch bewertet werden. Das heißt, eigentlich positive Meldungen werden als Warnsignale gedeutet. Als klassisches Beispiel kann der vor mehr als zehn Jahren kollabierte Neue Markt gelten. Die positive Stimmung, die etwa an der hohen Zahl von Neuemissionen, einer euphorischen Berichterstattung in den Massenmedien sowie positiver Markteinschätzungen abgelesen wurden, ließen widersprüchliche Deutungen zu. Während ein Teil der Markteilnehmer einen weiteren Aufschwung erwarteten, sahen unter anderem die Verfechter der Sentimentanalyse hier bereits die Vorboten des Crashs.
Denn aus der Sicht der Sentimentanalyse wurden aus der aktuell übertriebenen Situation zwei Schlüsse gezogen. Der erste hat aus der positiven Grundstimmung die Überzeugung abgeleitet, dass mittlerweile fast alle Marktteilnehmer, nicht zuletzt motiviert durch die Medienberichterstattung, investiert haben und nun kaum noch Spielraum für weitere Investitionen besteht. Ein klares Signal für einen Verkauf. Die trotz allem vorherrschende positive Gesamtstimmung entsprang vor diesem Hintergrund vor allem dem Umstand, dass investierte Anleger ja grundsätzlich positiv gestimmt sein müssen, da sie ja sonst verkaufen müssten. Wer rechtzeitig zu diesem Schluss gekommen ist, hätte rechtzeitig aus dem Markt aussteigen und seine Gewinne sichern bzw. umfangreiche Verluste vermeiden können. Das Problem war aber auch hier, dass einerseits widersprüchliche Informationen kursierten und zum anderen die genannte Konstellation auch kein absolut zwingendes Zeichen für einen Absturz sein muss. Was kann der private Anleger nun hieraus Schlüsse für seine Anlagestrategie ableiten?
Ist die Sentimentanalyse für den privaten Anleger geeignet?
Ob die Sentimentanalyse für private Anleger wirklich geeignet ist, lässt sich zum einen nicht eindeutig beantworten und hängt zum anderen auch von weiteren Faktoren ab. Zum einen ist sie zunächst nur bedingt geeignet, da ein privater Anleger wohl kaum in der Lage sein wird, sich eigenständig ein Bild über die aktuellen Stimmungen zu verschaffen. Zwar kann er aufmerksam die Berichterstattung verfolgen, Analystenmeldungen zur Kenntnis nehmen oder entsprechende Barometer beobachten und bewerten. Die Grundfrage sollte aber zunächst sein, ob der Anleger überhaupt für diese Form der Analyse zugänglich ist und bereit ist, sich damit zu beschäftigen und sich auf entsprechende Strategien einzulassen. Wenn dies mit Augenmaß geschieht, können durchaus sinnvolle Anlageentscheidungen aus durch die Sentimentanalyse gewonnene Erkenntnisse resultieren. Dabei sollten aber die übrigen Grundsätze der Anlage, sowie auch andere Analysemethoden nicht außer Acht gelassen werden. Es muss dabei kein Fehler sein, wenn man versucht, sich aus verschiedenen Analysemethoden ein Gesamtbild zu verschaffen, und damit die Anlageentscheidungen zu begründen. Im Falle des Neuen Marktes gab es neben den genannten Hinweisen aus der Sentimentanalyse auch durchaus fundamentale Daten, aus denen eine Trendwende hätte geschlossen werden können. Viele Unternehmen, die noch gar keine Gewinne vorweisen konnten, waren nach den Kennzahlen der Fundamentaldatenanalyse massiv überbewertet und damit als extrem riskante Anlagemöglichkeit klar zu erkennen.
Fazit – Sentimentanalyse kann wichtige Impulse für Anlageentscheidungen liefern
Eine klare Positionierung pro oder kontra Sentimentanalyse, wird es an dieser Stelle nicht geben. Wie alle anderen Methoden und Instrumente zur Voraussage der Zukunft ist auch die Sentimentanalyse mit einem gewissen Grad der Unsicherheit verbunden. Insbesondere für private Kleinanleger stellt sie darüber hinaus aber zumindest ein zweischneidiges Schwert da. Zum einen lassen sich durchaus wichtige Entwicklungsmöglichkeiten mit einiger Wahrscheinlichkeit voraussagen und danach auch Anlageentscheidungen ausrichten, allerdings ist es eher fraglich, ob der Anleger dies auf eigene Faust tun sollte. Dagegen spricht zum einen eine massive Fülle an Informationen, die in diesem Bereich zur Verfügung stehen und von einem Einzelnen kaum vollständig zur Kenntnis genommen werden können. Dazu kommen zum Teil kontraindikatorische Aussagen, die gerade für wenig erfahrene Kleinanleger nicht immer ganz einfach zu treffen sind. Trotzdem ist die Sentimentanalyse durchaus eine gewisse Aufmerksamkeit wert. Dazu sollte sich der Kleinanleger Anleger aber möglichst an einem erfahrenen Analyst orientieren, dessen Strategie er auch klar nachvollziehen kann. Ein solcher Analyst wird in der Regel kaum allein auf Grundlage der Sentimentanalyse Entscheidungen treffen, sondern ausgewogene Empfehlungen aussprechen, denen der Anleger dann guten Gewissens folgen kann. Wichtig ist darüber hinaus aber auch, dass neben den entsprechenden Empfehlungen zum Kauf oder Verkauf auch die übrigen Grundsätze der Anlage berücksichtigt werden. Dazu gehört vor allem eine vernünftige Streuung. Die Sentimentanalyse kann dann zumindest das i-Tüpfelchen darstellen.